Ein jahr in der Neuen Normalität
Jetzt ist es also ein Jahr her, das ich das letzte mal so richtig im Büro war. Mit kleinen Ausnahmen, aber im Großen und Ganzen schon. Ein Jahr, in dem alles anders ist als davor. Und das will ich zum Anlass nehmen, ein wenig zurück zu blicken. Denn egal, was das vergangene Jahr auch immer für alle von uns gewesen sein mag (oder auch nicht), eines war es auf jeden Fall: voller neuer Erfahrungen.
Ich bin ab jetzt zu hause
Ein Beginn voller Unsicherheit, Angst, Vorsicht.
Ich bleibe zu Hause.
Alle anderen auch.
Nach ein paar Tagen traue ich mich das erste mal hinaus und gehe am Abend spazieren.
Ich sehe andere Spaziergänger entgegenkommen. Man beäugt sich argwöhnisch, wechselt die Straßenseite.
Geräusche die einem sonst nicht auffallen werden plötzlich durch ihr Fehlen merkbar.
Es ist ruhig.
Was mir aus dieser Zeit am meisten in Erinnerung bleibt ist, wie anders die Stadt gerochen hat. Ganz ohne Abgase.
Innerhalb von Wochen erreichen wir sämtliche Klimaziele. Es geht also doch, wenn man will. Nur will halt niemand.
Optimistisch sehen wir die nächsten Monate Pandemie als neues Erlebnis, als Abenteuer. Wenn ich meine Bedenken äußere, dass das alles nach dem Sommer vielleicht doch nicht vorbei sein könnte, wird gelacht.
Wir sind ab jetzt zu hause
Home-Office wäre ja angenehm. Es ist warm, man kann sich mit dem Laptop auf die Terasse setzen. Aber wir haben drei Kinder. Home Office ist laut. Meetings, die ein nicht insignifikanter Teil meiner Arbeit sind, sind extrem anstrengend. Nicht nur für mich, auch für alle anderen Teilnehmer. Ich kann nicht aufhören, mich für die Lautstärke bei mir zu entschuldigen.
Paul nennt nach der dritten Woche meinen Monitor nur noch "Meeting".
Konstant beieinander zu sein ist eine Herausforderung an sich. Egal wie sehr man sich mag, irgendwann ist es nur noch anstrengend. Mir fehlt die Fahrt in die Arbeit und zurück als Regenerationszeit. Ich setze mich jeden Tag in der Früh für dreißig Minuten mit einem Buch auf den Balkon.
Man will sich nicht zu vielen Risiken aussetzen. Ich gehe ein mal die Woche für uns alle einkaufen. Eine Woche Essen für 5 Personen ist ganz schön viel. Ich staune über das Fassungsvermögen unseres Kühlschranks.
Menschen horten die seltsamsten Sachen. Klopapier. Hefe. Ich habe den Verdacht, Corona verwandelt die Menschheit langsam aber sicher in Brotbackende Mumien. Ich habe panische Angst vor dem Tag an dem plötzlich keine Windeln mehr in den Geschäften sind.
Wir können nicht nur zu hause sein
Je wärmer es wird desto öfter flieht Barbara mit den Kindern in den Garten ihrer Mutter. Mit Abstand halten geht das schon, und die Kinder brauchen Auslauf, Bewegung, Abwechslung - sonst laufen sie die Wände hoch.
Wer auch immer die Kinderspielplätze monatelang geschlossen hat hat offensichtlich noch nie ein Kind aus der Nähe gesehen.
Im Sommer wird alles etwas lockerer. Man kann nach Schönbrunn. Hotels öffnen, wir können in Österreich auf Urlaub fahren. Es wirkt fast so, als würde wieder alles normal werden.
Man spricht davon, wieder ins Büro zurückzukehren. Wir werden uns noch wundern.
Wenn die Kinder nicht zu hause sind
Es wird September, Simon beginnt sein erstes Schuljahr. Die Kindergärten haben wieder offen, die Kleinen gehen jetzt auch halbtags in den Kindergarten. Kollegen fragen in Meetings ganz erstaunt, warum es plötzlich so still ist. Ich kann mich wieder phasenweise konzentrieren.
Man gewöhnt sich an das neue Leben. Es ist nicht vorbei, aber es ist relativ entspannt.
Die Fallzahlen steigen und steigen.
Wenn alle wieder nach hause müssen
Geschäfte schließen. Das kennen wir. Schulen auch. Das ist mühsam. Nun haben wir das Vergnügen des Home-Schoolings im Home-Office. Zum Glück ist Barbara noch in Karenz, da funktioniert das vielleicht. Soweit die Theorie. Leider haben wir noch zwei weitere Kinder die betreut werden müssen. Die Kombination ist ... spannend.
Gefühlt ist dieser Lockdown ganz anders als der erste. Alle Menschen murren, es ist weit mehr auf den Straßen los. Während im ersten Lockdown alles noch voll Solidarität und Zusammenhalt war grasieren nun überall wahnsitzige Verschwörungstheorien, Konflikt und Streit.
Ich vermisse die Stille und das drückende, melancholische Gefühl vom ersten Lockdown irgendwie.
Wir arbeiten zu hause
Barbaras Wiedereintritt in das Berufsleben stellt uns vor einige Herausforderungen. Sie muss nun auch einen Arbeitsplatz finden. Zum Glück funktioniert das WLAN bis ins Kinderzimmer, Simons Schreibtisch wird drei Tage die Woche umfunktioniert. Sehr zu seinem Leidwesen, die Playmobil-Burg muss dem Macbook weichen. So müssen wir alle Kompromisse schließen.
Unser großes Glück ist, dass Simon durch den Sonderförderbedarf auch wärend des Home-Schoolings in der Schule betreut wird. Und nicht nur das, das engagierte Team in seiner Klasse unterrichtet auch die Kinder im Präsenzunterricht während andere Kinder von zu hause aus per Videokonferenz unterstützt werden. Es ist toll, an einer modernen und gut ausgestatteten Schule zu sein. Ich höre von Kollegen, die nicht dieses Glück haben.
Es ist alles irgendwie normal geworden für uns. Durch die nun überall verfügbaren Tests können wir uns beruhigt mit Bekannten treffen ohne Angst vor einer Infektion haben zu müssen. Wie angenehm einem soziale Interkation ist fällt einem erst auf, wenn man sie monatelang nicht hatte.
Und der Blick in die Zukunft?
Um den geht es hier ja nicht. Aber wenn ihr mich fragt: es wird noch lange nicht vorbei sein. Und wenn es vorbei ist, werden wir ganz schnell - innerhalb weniger Monate - wieder in unser früheres Leben, das wir uns jetzt kaum mehr vorstellen können, zurückfallen. Als wäre es nie anders gewesen.
Als wäre das alles nur ein langer, dunkler Traum gewesen.